Von 1944 bis 1947
Bombenangriffe auf Völklingen
Ab Anfang 1944 häuften sich die Bombenangriffe auf die Stahlwerke Röchling. Getroffen wurde hauptsächlich Wehrden. Besonders in Erinnerung ist ein Bombentreffer auf einen unterirdischen Bunker zwischen Wehrden und Geislautern, der Eingang lag an der Ludweiler Str. - Einmündung Haller. Es gab dabei viele Tote.
Als Luftschutzbunker diente uns eine Unterführung des Lauterbachs .
Bei einem dieser Bombenangriffe blieb ich mit Oma zu Hause Wir konnten vom Fenster aus Bombeneinschläge beobachten - es war wie ein Feuerwerk, das Gefühl einer Gefahr oder gar Angst hatten wir nicht.
2. Evakuierung nach Sonneberg um 1944/45 :
Anfang November 1944 erfolgte wegen des Vorrückens der Alliierten die 2. Evakuierung.
Konkrete Erinnerungen beziehen sich auf die zweite Evakuierung nach Sonneberg in Thüringen.
Eine Adresse konnte gefunden werden : Steiermärker Str. 16 , (15) Sonneberg .
Die "Saarfranzosen" waren immer noch unbeliebt bei den Aufnehmenden.
Erinnerte Szene : Die unbeliebten Flüchtlinge durften nicht am Tisch essen, sondern wir saßen an der aufgeklappten Backofentür eines kohlebeheizten Küchenofens.
In dem Haus, in dem wir dann wohnten, gab es eine weitere einheimische Frau mit 2 Kindern : Christel und Peter . Gegenüber wohnte in einem Haus mit zumindest größerem Grundstück eine höher gestellte Person ( Obernazi ) namens Scheeler . Auf dem abschüssigen Weg von seinem zurückstehenden Haus bis zum Gartentor habe ich mir den Daumen mit einem Handwagen so eingeklemmt, daß der Daumennagel wegeiterte und lebenslang ein bißchen verunstaltet wächst.
Als ca. Fünfjähriger konnte ich allein von der etwas außerhalb auf einer Anhöhe liegenden Wohnung in das Zentrum gehen um meine Patentante dort von ihrer Arbeitsstätte abzuholen .
Was ist geblieben
Trotz der deutlichen Erinnerung konnten wir bei einem Besuch in Sonneberg im Jahr 2002 den Ort nicht wiederfinden .
Nachforschungen ergaben : Die Straße wurde 1945 umbenannt in Karl Liebknecht Str. und liegt im Stadtteil Wehd . Ein erneuter Besuch im Jahr 2018 zeigte die Straße ziemlich unverändert. Das Haus und Grundstück Scheeler hat ein neues Tor, dort wohnt ein Enkel des damaligen Besitzers.
Gut in Erinnerung ist das Einrücken der Amerikaner.
Deutsche Soldaten gab es nicht, also auch keinen Widerstand. Die Zivilbevölkerung, im wesentlichen Frauen und Kinder, flüchtete vor dem Granatenbeschuß in die Wälder, wo wir uns bei jedem Schuß in den Graben warfen.
Die dann einrückenden amerikanischen Soldaten machten auf mich den Eindruck von angsterfüllten Feiglingen, die sich vor ein paar Frauen und kleinen Kindern fürchteten.
An die Menschen, die aussahen wie auf den Fotonegativen, kann ich mich gut erinnern.
Eine weitere gut erinnerte Szene :
Nach der „Eroberung“ plünderten die Amerikaner die Stadt . Aus den Fenstern der Geschäfte wurden die Waren auf die Straße geworfen , wo sich das „Volk“ versammelt hatte . Auch wir waren dort und meine Patentante bekam einen Stoffballen an den Kopf .
Flucht vor den Russen :
Bald nach der Eroberung wurde von den Amerikanern ein Teil der eroberten Fläche gegen Teile der von den Russen eroberten Stadt Berlin ausgetauscht .
Als es hieß „die Russen kommen“ beschlossen die Flüchtlinge jetzt wieder zurück nach Westen zu fliehen . Auch wir starteten zu Fuß gegen Westen . Die für die Flucht eingeplanten Fahrräder waren allerdings gestohlen worden , wie sich später zeigte von einem gut bekannten Mitflüchtling aus dem gleichen Heimatort .
Dieser etwas dubiose Bekannte bezeichnete sich selbst auch später noch als „Kommunist“ , mit den Russen hatte er aber nichts im Sinn , sondern war einer der ersten der „nach Westen machte“ . An die Flucht mit den verschiedensten Verkehrsmittel wie Lastwagen , offene Güterzüge ist einiges in Erinnerung .
Die Amerikaner verteilten von ihren Lastwagen Schokolade an die Kinder und vergewaltigten die jungen Frauen , letzteres sagte mir nichts .
Der Übergang über den Rhein ist mir in unauslöschlicher Erinnerung : Wir fuhren auf offenen , mit Kohle beladenen Güterwagen über eine Behelfsbrücke ohne Geländer mit dem Gefühl frei über dem Wasser zu schweben .
Rückkehr an die Saar :
Die Rückkehr fand Mitte 1945 statt , die Franzosen übernahmen am 10. Juli 1945 das Saarland .
Über den Weg vom Rhein zur Saar ist mir nichts erinnerlich . Erst die Ankunft an der Saar brachte wieder ein genügend eindrucksvolles Erlebnis . Das Saargebiet war von den Franzosen besetzt und sollte zumindest links der Saar auch von der Bevölkerung „befreit“ werden . Geplant war also die ethnische Säuberung wie man das heute nennen würde . Wir wohnten aber links der Saar . Alle Saarbrücken in der Region waren zerstört , die Überquerung der Saar von Ost nach West war verboten . Wir kehrten trotzdem zurück , Rädelsführer war meine Oma . Die Überquerung der Saar fand bei Nacht über ein damals vorhandenes Nadelwehr statt . Wir gingen sozusagen fast wie Jesus mitten durch den rauschenden Fluß .
Passiert ist uns nichts , die Vertreibung fand nicht statt , von den Franzosen wurden lediglich alle noch brauchbaren Gegenstände abtransportiert . Wir waren nicht betroffen weil es nichts brauchbares gab. Unser Haus war durch Granatbeschuß teilweise zerstört, mitten in der Front war ein riesiges Loch , das eigentliche Dach war verschwunden , ein Teil war durch Behelfsmaterial wie Blech abgedeckt . Dies hatte ein früher zurückgekehrter Bruder meiner Oma organisiert . Unsere noch vorhandenen , weitgehend beschädigten Möbel wurden von den Franzosen verschmäht , angeblich prächtige Möbel einiger Verwandter wurden von den Franzosen abtransportiert .
Die erste Zeit nach der Rückkehr war geprägt von den Kriegsfolgen . Die Franzosen hatten ihre Fremdenlegionäre mit vielen Nordafrikanern eingesetzt und die Furcht der Frauen vor den "Moggscha" war groß.
Felder und Wälder waren noch vermient, in einigen Unterständen waren noch Gewehrpatronen zu finden, im Totenhäuschen am Gemeindefriedhof lagen Leichen.
Für uns Kinder verbotenes Gebiet von ungeheurer Anziehungskraft. Schwarzpulver aus den Patronen als Spur auszulegen und abzubrennen war faszinierend. Anderes Spielzeug gab es nicht.
Dass die Warnungen und Verbote der Erwachsenen ernst zu nehmen waren zeigte sich am 27. Juni 1945 auf tragische Weise: Mein 9 Jahre alter Vetter sprengte sich mit einer gefundenen Handgranate in die Luft.
Hungersnot :
Während sich in den übrigen Zonen die Lage verbesserte wurde das Saarland von den Franzosen von Dezember 1946 bis November 1947 von der gesamten Umgebung hermetisch abgeriegelt und regelrecht ausgehungert . Gegessen wurde alles , es wurde im wörtlichen Sinn Gras gefressen , was allerdings für den Menschen auch gekocht ungenießbar ist . Eine Köstlichkeit waren Brennnesseln als Gemüse oder Salat . Bucheckern wurden trotz Minen und Bruchspalten zur Ölgewinnung gesammelt , natürlich auch Brombeeren . Aus gestohlenen Rüben wurde Rübenkraut ( Harz ) gekocht . Eine Standardspeise war „Rappsupp“ : In einem möglichst großen Topf wurde Wasser gekocht ; in das Wasser wurde 1 ( eins , zum Schlemmen 2 ) Kartoffeln (grummbre) mit einer Reibe gerieben (gerappt , daher der Name) . Das ergab eine dünne Brühe , an deren Oberfläche ekliger Schaum schwamm , das Sättigungsgefühl wurde durch das viele Wasser erreicht , verschwand aber nach kurzer Zeit wieder .
Verbreitet war der Versuch , Essbares in den ländlicheren Gebieten zu ergattern , sei es durch Tausch oder durch Klauen . Standardspruch der Bauern : „Mir honn selwa nix“ , dann wurde geklaut falls doch noch was da war . Die Kinder mussten mit , um Mitleid zu erwecken , meist ohne Erfolg . Erfolgreichster Hamsterer war Opa , er bekam fast immer etwas , Oma ging nie mit . Einprägsames Hamster-Erlebnis : Wir (Opa , Enkel , Mama und Tante) gingen auf Hamsterfahrt mit dem Zug . Am Ende des Tages der wohl eher erfolgreich war , alle mit Rucksack und Taschen . Der Zug ist extrem überfüllt , Menschen und Hamstergut werden hineingepreßt . Dann Unruhe und Geschrei : Mama steht mit einem Bein in einem gefüllten Marmeladeneimer . Der in der Menschenmenge eingeklemmte Besitzer versucht vergeblich zu toben , ich glaube er hat schließlich geweint . Weil ich so klein war konnte ich gut den Eimer und das Bein darin sehen , sonst aber so gut wie nichts .
In dieser Zeit und noch einige Jahre länger wurde auch der Garten bepflanzt sowie Hühner und Kaninchen , in einem Jahr sogar Enten gehalten . Der Garten wurde von Hand mit dem Spaten umgegraben und mit Jauche (Puddel) aus dem Plumpsklo gedüngt . Die Hühner wurden als Küken aus einer Hühnerfarm ( zu Fuß !! ) geholt und großgezogen . Im Schnitt waren es dann zur Hälfte Hähne , die bekanntlich keine Eier legen und deshalb zum Tode verurteilt und aufgefressen wurden . Dann gab es wochenlang nur Hühnerfleisch , seither schmecken mir Hühner nicht mehr lecker .
Irgendwann gab es noch Care-Pakete aus Amerika:
Sie enthielten (bei Glück) Trockenmilch in geschlossenen Dosen, eine Leckerei, manchmal Maismehl weil das begehrte "Korn" auf Amerikanisch mit "Corn=Mais" übersetzt wurde oder auch "fliegende Linsen". Die in den Paketen enthaltenen Hülsenfrüchte waren in der Regel von Insekten befallen. Sie wurden dann auf einer freien Fläche im Hof ausgebreitet, die Insekten flogen oder krabbelten weg, nach einigem Warten konnte der verbliebene Rest eingesammelt und verspeist werden.